Als ich während meines Studiums eines Samstags in die Akademie kam, war ich ganz schön baff. Eine Band hatte das Studio gemietet, um eine Demo CD aufzunehmen.
Es waren vier Jungs so um die 18, die sich in den Kopf gesetzt hatten, die Schule zu schmeißen und mit ihrer Band erfolgreich zu werden.
Ich war einigermaßen beeindruckt und dachte mir „Wow, die gehen ja echt aufs Ganze!“ (Achtung! Ich empfehle nicht mit 18 die Schule zu schmeißen!).
Was ich aber dann sah, hat mich wieder auf den Boden geholt und resigniert den Kopf schütteln lassen. Die hatten sich nämlich einen Kasten Bier ins Studio gestellt.
Was im Allgemeinen als normale Musikerattitüde angesehen wird, sehe ich (Spießer, ich weiß :-)) sehr anders.
Der Rock’n Roll Lifestyle
Es gibt diese ganz bestimmte Vorstellung vom typischen Rockstar, die in den Köpfen rumgeistert. Darin ist das Musikerleben eine einzige große Party voller Ausschweifungen und Unvernünftigkeiten.
Konzerte in vollen Häusern, danach wilde Orgien mit Drogen und Groupies, schlafen bis nachmittags und das Ganze von vorn.
Ich finde das zwar eine ganz nette Vorstellung, leider hat sie nicht viel mit der Realität zu tun. Das Leben eines normalen, arbeitenden (!) Musikers könnte gegensätzlicher nicht sein.
Das Bild, das die Meisten (auch Musiker) vom Musikgeschäft haben, ist von extremen Missverständnissen geprägt.
Kaum jemand, der nicht tatsächlich drin steckt, hat ansatzweise eine Ahnung wie die Industrie funktioniert.
Um den Bereich Musikindustrie ranken sich doch sehr viele Legenden, es scheint ein nahezu mysteriöses Berufsfeld zu sein.
Wenn du darüber nachdenkst, was ein Bäcker macht, bist du wahrscheinlich recht nah an der Wahrheit, wenn du davon ausgehst, dass er früh aufsteht, bäckt, evtl. verkauft und sich möglicherweise noch um die Buchhaltung kümmert. Dazu kommt Wareneinkauf, Werbung etc…
Auch ohne Experte zu sein, kannst du den Berufszweig (grob natürlich) einigermaßen einschätzen. Ähnlich geht ist es bei Handwerkern, Lehrern, Verkäufern usw., bei Musikern hat sich allerdings der Mythos Sex, Drugs & Rock’n Roll irgendwie gehalten.
Die „Großen“ machens vor
Klar, es gibt sie, die großen Musikerlegenden, die sich Zeit ihres Lebens diesen „Lifestyle“ gönnen oder gegönnt haben. Ich habe keine Ahnung wer sich alles was reinzieht, reingezogen hat oder reinziehen wird. Fakt ist: Es gibt sie, die Rockstars, die diesen Lifestyle zelebrieren.
Es gibt zahllose Beispiele. Ich kann sie garnicht alle aufzählen, dafür interessieren sie mich auch nicht genug. Fakt ist: Im Normalfall (über 99%!) leben Berufsmusiker diesen Rock’n Roll Lifestyle nicht!
Es funktioniert einfach nicht. Das Musikgeschäft ist ein Geschäft. Klar geht es irgendwie um Kunst, aber die ist in dem Geschäft eben einfach nur die Ware.
Wir Musiker sind erstens die Produzenten dieser Ware, und zweitens Dienstleister, die eben ein bestimmtes Kundenbedürfnis befriedigen.
So einfach ist das.
Ein Job wie jeder Andere, nur eben im Bereich Entertainment und mit mehr Glamour.
Dienst ist Dienst…
Ebenso wie in jedem anderen Tätigkeitsfeld werden bestimmte Erwartungen an dich gestellt die du erfüllen musst, wenn du professionell Musik machen willst.
Wie fändest du das, wenn dein Bäcker einfach mal zwei Stunden später aufmacht? Oder wenn er heute keine Brötchen, sondern nur dunkles, kerniges Brot hat, weil er verpeilt hat Weizenmehl zu bestellen?
Klar kann das mal vorkommen. Wenn du morgens aber einfach nur deine Brötchen haben willst und deinen Bäcker als unzuverlässig kennengelernt hast, wirst du in Zukunft woanders kaufen. Schließlich ist er nicht der einzige Bäcker in der Gegend.
Du bist aber auch nicht der einzige Bassist in der Gegend!
Wenn du betrunken oder verkatert ins Studio oder auf die Bühne gehst, spielst du Mist. Du bist blau und bekifft weder kreativer, noch authentischer oder sonstwas. Du kannst einfach nicht die Leistung bringen, die von einem professionellen Musiker erwartet wird.
Kurz: Das war vielleicht dein letzter Job bei dem Kunden/der Band.
Wenn deine Band zu spät zum Soundcheck kommt, ist das Gelingen des Abends gefährdet. Das sehen wir als coole Musiker natürlich ganz entspannt, einer sieht es aber alles Andere als locker: Der Veranstalter! Derjenige, der dich eventuell ein zweites Mal buchen könnte.
Bzw. hätte buchen können.
Das war dann nämlich womöglich dein letzter Gig in dem Laden. Zu Recht.
Nicht cool, sondern einfach nervig:
- zu spät kommen
- den „Rockstar“ raushängen lassen
- den Tontechniker warten lassen
- unvorbereitet sein
- unvollständiges Equipment dabei haben
- sich hemmungslos besaufen
Wir alle wollen, dass unsere Projekte funktionieren. Der Veranstalter, der Techniker, der Barbetreiber und alle Anderen erwarten deshalb eine professionelle Verhaltensweise von dir.
Vermeintliche „Rockstars“ kennen sie zur Genüge und können schon nicht einmal mehr müde drüber lächeln. Für dich ist es vielleicht der zehnte Gig im Jahr, für den Konzertveranstalter ist es der Hundertste.
Was für dich (völlig zu Recht!) etwas ganz Besonderes ist, ist für den Rest der Crew daily business.
Hast du dich für den Weg des professionellen Musikers entschieden, gehört es dazu, dass du dich entsprechend verhältst. Das gilt auch, und vor allem dann, wenn du noch nicht davon lebst.
Soll es dein Job sein, benimm dich auch so. Dein Arbeitsplatz ist die Bühne, dein Werkzeug ist der Bass. Sie dich selbst als Unternehmer, als Geschäftsmann. Zwar nicht mit Anzug und Krawatte, aber trotzdem angenehm, zuverlässig und vertrauenswürdig.
Wenn du dir nach getaner Arbeit ein Bier genehmigst, wird sich wohl niemand daran stören. Vergiss nur niemals deine Professionalität. Auch wenn alles locker und easy ist: Du bist hier auf Arbeit! Einer Arbeit mit viel Rock’n Roll, aber ohne Sex und Drugs. Und ohne Rockstarattitude.
Einfach machen,
P.s.: Ein kleiner Nachtrag von mir: Zum grooooßen Glück gibt es das Publikum, dass genau diesen kaputten Rock’n Roll liebt und sehen will.
Wenn du beim Gig auf die Bühne kotzt, kann es daher durchaus zu einer gelungenen Show beitragen.
Die Begeisterung im Publikum überwiegt dann womöglich den Ärger der Reinigungskräfte und der Ladenbetreiber bucht euch gerne immer wieder. Eben weil ihr so Rock’n Roll seid.
Merke: Es muss zum Rahmen und zu eurem Stil passen. Wenn das in deiner Hochzeitscoverband in der Kappelle passiert, werdet ihr wahrscheinlich nicht unbedingt mit Schlüpfern beworfen.
Auch sind Pfarrer nicht für ihren ungezwungenen Humor gegenüber Körpersekreten an heiligen Orten bekannt, aber vielleicht gibt es auch einfach noch keinen Präzedenzfall ;-).
Hallo Denis,
ich habe bis letzten Monat in zwei erfolgreichen semiprofessionellen Bands um die 50 Gigs pro Jahr gespielt (www.schlagerhosen.de; http://www.tanzband-dacapo.de) und kann nur sagen, dass Deinem Beitrag nichts mehr hinzuzufügen ist. Ich bin zu 200% bei Dir!
Ein professionelles Geschäft verlangt professionelles Auftreten und da hat weder Alkohol noch Unpünktlichkeit oder irgendwelche Starallüren was verloren.
Gruß Micha
Hey Micha,
Danke für deinen Kommentar. Das ist wie in jedem anderen Geschäft, man muss eben seine Leistung bringen.
Schöne Grüße,
Denis
Kennst Du die Irin Tanya O’Callaghan?
Sie entschied sich für eine Musikerkarriere und verließ die Schule noch bevor sie ein Instrument beherrschte. Sie setzte wohl Alles auf ene Karte. Der Beweis, dass man mit voller Konzentration nach rechtezitigem Schulabbruch dorthin kommen kann, wohin man will. (Mit oder ohne Kasten Bier? Irish Whiskey?) Sie ist inzwischen eine Bassistin in LA.
https://www.youtube.com/watch?v=MbF6j9WIktY
https://www.youtube.com/results?search_query=Tanya+O'Callagha
Anders als sie habe ich meine Zukunft hinter mir und habe mir nicht rechtzeitig durch Schulabbruch den Weg zurück abgeschnitten. Ziemlich hoffnungslos für mich. Deshalb kann ich immer noch nicht richtig spielen.
Grüße,
Bernhard
Hi Bernhard,
Alles auf eine Karte setzen, das ist genau mein Ding ;-).
Wenn man weiß, was man will, finde ich es auch absolut überflüssig in der Schule zu bleiben. Leider wird einem in Deutschland diese Entscheidung nicht überlassen.
Du hast deine Zukunft hinter dir? Wie soll das denn gehen?!
Schöne Grüße,
Denis