Ich liebe es mit meinen Lesern hin und her zu schreiben. Wenn du mir schon mal gemailt hast, weißt du, dass ich meine Mails nicht nur lese, sondern in den meisten Fällen auch antworte. Oft finde ich wirklich spannende Sachen heraus.
Wie in dem Email-Verkehr, den ich grade letzte Woche mit einem Leser hatte. Er schrieb mir, dass er Schwierigkeiten damit hat, den Rhythmus mitzuzählen. Als es ums Thema Üben ging, sprudelte aber was ganz Anderes an die Oberfläche:
Immer wenn ich „Disziplin“ lese, gehen bei mir die Alarmglocken an.
Wer sich selbst nicht als diszipliniert sieht, hat bei dem Wort ein Bild im Kopf:
Soldaten, die um 5 Uhr morgens bei Regen unter Maschinengewehr-Kugelhagel durch den Schlamm kriechen. Der Offizier schreit: „DIS-ZI-PLIN!“
Das Wort Disziplin beschreibt für die Meisten ein sinnloses Leben voller Grünkohl-Smoothies und definitiv ohne Spaghetti-Eis oder am Ende gar Spaß. Jeden morgen eine Stunde Krafttraining zu machen, sich nur von Proteinshakes zu ernähren, nie wieder eine Cola zu trinken, und zwar für den Rest deines Lebens!!!
Wir wissen zwar schooon, dass es uns ganz gut tun würde ab und an mal etwas disziplinierter zu sein. Vielleicht um ein bisschen abzunehmen und fitter werden, uns gesünder zu ernähren oder eben um regelmäßig zu üben
Aber es passiert nicht. Und so bleibt es eine Sache im Hinterkopf, die wir zwar sollten aber niemals tatsächlich tun. Stattdessen fühlen wir uns schuldig. Wie einige Musiker, die ich kenne. Sie sagen Sätze wie:
„Ich müsste eigentlich mal wieder regelmäßiger üben.“
Aber sie tun es nicht. Sie fühlen sich dabei ganz furchtbar und sehen mich mit Hundeblick an, wenn sie mir beichten, dass sie seit über einem Jahr so gut wie nie geübt haben.
Dabei ist es nicht einmal ihre Schuld. Die Meisten von uns haben nie gelernt, wie sie Dinge erledigen, die ein hohes Maß an Geduld, Durchhaltevermögen und langfristiges, konsequentes Üben erfordern.
Hätten wir das, wären wir alle ein Haufen Victor Wootens mit Sixpacks und Millionen auf der Bank.
Das hier sind nicht die Gründe, warum du nicht vorankommst:
- Du hast keine Motivation <- Falsch! Motivation ist ein guter Trigger, um etwas zu starten. Um beim Durchhalten zu helfen ist sie zu flüchtig. Bei dir, bei mir, selbst bei Olympiasiegern.
- Du willst es nicht genug <- Falsch! Du musst es nicht nur wollen, sondern auch wissen, wie du es tatsächlich umsetzt.
- Du bist einfach zu faul <- Falsch! Liegst du den ganzen Tag in der Hängematte mit einem Cocktail in der Hand? Oder bist du den ganzen Tag aktiv und brauchst am Abend einfach mal eine wohlverdiente Pause? Siehste.
Keiner der drei Punkte ist der echte Grund, warum jemand nicht das verfolgt, was er will. Das Gleiche gilt für „keine Zeit“.
Wenn ich die oben genannten Punkte höre, verstehe ich sie viel eher als Code-Wörter. Es sind Gründe, die man jederzeit ganz leicht anführen kann, weil sie absolut gesellschaftsfähig sind. Sie sind schnell ausgesprochen und eine vermeintliche Erklärung, verbergen dabei allerdings worum es wirklich geht. Vor allem sind sie aber eins: Einfach.
Es ist viel einfacher die Schuld auf sich zu nehmen und zu sagen, dass man nicht motiviert, ambitioniert oder einfach zu faul ist, statt der wahren Ursache auf den Grund zu gehen.
Die absolut falsche Herangehensweise #1: „Ich muss mich einfach mal in den Arsch treten“
Tatsache ist, die meisten Leute wissen nicht, was der wahre Grund ist, dass sie nicht regelmäßig üben. Auch nicht, wie sie daran arbeiten können. So auch mein Leser:
Der harte Weg. Unter Druck setzen und die eigene Bestrafung vorplanen. Das tut mir schon beim Lesen weh.
Ich weiß genau, wie es sich anfühlt unvorbereitet zur Probe zu kommen und sich der berechtigten Kritik der Bandmitglieder auszusetzen. Ich kann dir sagen, das schmerzt. Und wenn es zu irgendetwas motiviert, dann dazu bald wieder aus der Band auszusteigen.
Obwohl negative Konsequenzen durchaus von Vorteil sein können, wenn man etwas wirklich durchziehen will, sind sie niemals dazu geeignet als alleiniges Mittel dazustehen. Wenn du nicht die richtigen Systeme hast, um dein Ziel überhaupt erreichen zu können, bist du zum Scheitern verurteilt.
So planst du für dein eigenes Versagen. Schnell entsteht das Selbstbild vom notorischen „Loser“. Dass du nichts auf die Reihe kriegst. Dass du immer wieder deine Band enttäuscht. Dieses Selbstbild bestimmt wie du dich in Zukunft verhältst. Glaubst du, dass es dadurch besser wird? Auf überhaupt keinen Fall? Richtig.
Es ist mir wichtig wirklich klar zu machen, dass niemand anhaltenden Druck aka „sich selbst in den Arsch treten“ auf Dauer durchhält. Ich will verdeutlichen, dass es um Gewohnheiten und Systeme geht, nicht um Druck. Ich schreibe also zurück:
Worauf er antwortet:
Es ist also einfacher, wenn man es gerne macht? Bitte verrate mir wie gerne ich mir jeden Morgen beim Training den Arsch aufreißen muss, damit ich endlich zehn saubere Klimmzüge schaffe!
Die absolut falsche Herangehensweise #2: auf Motivation warten
Ich unterscheide strikt zwischen Spielen und Üben. Das Spielen findet voll und ganz in der Gegenwart statt und macht Spaß, das Üben ist Arbeit, zielgerichtet und dient einem klaren Zweck: Besser zu werden.
Deshalb kommt bei mir kein Spaß auf, wenn ich 1000 mal am Stück eine Tonleiter hoch und runter spiele, auch nicht, wenn ich Triolen klatsche oder Lars Lehmanns Slap Rudiments übe.
Wenn du beim Üben Spaß suchst, bist du an der falschen Adresse. Jedenfalls, wenn du die kurzweilige Art von Spaß suchst, die du beim Spielen hast.
Üben bringt dir etwas anderes, viel Tiefergehendes:
Zufriedenheit, Selbstsicherheit, die innere Genugtuung, wenn du in dein Tagebuch eintragen kannst, dass du wieder 10 bpm schneller geworden bist.
Üben muss nicht explizit Spaß machen (bemerke den verachtungsvollen Unterton in meiner Stimme, wenn ich das Wort herauspresse).
Üben macht dich zu einem besseren Bassisten, zu einem selbstsichereren Musiker, zu einem wertvolleren Bandmitglied. Das sind grandiose Ziele. Niemand sagt, dass der Weg dahin Spaß (jetzt kam mir fast was hoch…) machen muss!
Ich freu mich schon riesig auf die verbitterten Kommentare von Leuten, die nicht üben, weil es bitte gefälligst Spaß zu machen hat!
Und eben deshalb bringt dich keine Motivation der Welt voran. Wenn du auf Motivation wartest, willst du, dass dir etwas, was du eigentlich nicht gerne tust, auf einmal Spaß macht. Sorry, das wird nicht passieren.
Die absolut falsche Herangehensweise #3: Üben wann es gerade passt aka „mal gucken“
Ich weiß, dass ich ein Nerd bin. Ich habe fünf Notizbücher in verschiedenen Farben mit je einem eigenen Kuli dran. Ich habe Checklisten für jeden regelmäßigen Vorgang in meinem Leben. Und ich trage mir jede Sache, die ich zu erledigen habe, in meinen Kalender ein. Üben gehört selbstverständlich dazu. Was nicht in meinem Kalender steht, existiert nicht.
Ich benutze meinen Kalender aus zwei Gründen:
- Ich weiß, was ich wann erledigen will. Selbst wenn ich es vergesse, mein Kalender erinnert mich dran. Simpel.
- Ich gehe mit mir selbst einen Vertrag ein: Wenn es in meinem Kalender steht, wird es erledigt. Ich muss nicht überlegen, ob ich gerade besonders viel Lust dazu habe. Es ist egal. Ich habe es entschieden und werde es tun.
„Zeig mir den Kalender eines Menschen und ich sage dir, was ihm wichtig ist.“
Ich wollte mal wissen, wie Andere es handhaben und habe in unserer Gruppe „Effektiv Bass Üben“ auf Facebook gefragt:
Die Antworten, die ich erwartet hatte, wurden mir prompt geliefert. Sie gingen von
„Musik ist mein Leben, muss ja nicht heißen ich übe ständig.“ bis hin zu
“ Kann man denn ein Lebensgefühl mit solchen Daten aufwiegen?“
Die Kommentare, die sich offen für die Musik im Kalender ausgesprochen haben, kamen ohne Überraschung von professionellen Bassisten. Zum Beispiel von dem Virtuosen am Fretless Bass Ralf Gauck
Ob das ein Zufall ist, dass ein Bass Virtuose die Musik im Kalender stehen hat?
Ich behalte meine Meinung für mich, halte aber fest:
Diejenigen, die sich fürs Üben im Kalender aussprechen, sind Profis, die ihr Instrument zweifelsfrei beherrschen. Noch Fragen?
Ein für allemal: Diese Dinge helfen dir nicht dabei, regelmäßiger zu üben:
- Dich unter Druck setzen (In den Arsch treten)
- Auf Motivation warten
- Ohne Kalender üben „wann es passt“
Was du brauchst, ist ein System, das für dich funktioniert. Wie meine pedantische Art mit meinem Kalender und meinen Notizbüchern.
Du musst dir ein System schaffen:
- das dir sagt, was du zu üben hast
- das es dir leicht macht, ins kontinuierliche Üben einzusteigen
- das in deinen Alltag passt, damit du regelmäßig übst
- das dich motiviert, damit du auch dran bleibst.
Wo steht denn jetzt die Disziplin auf der Liste? Brauchst du die etwa gar nicht? Doch, aber nicht, wie du denkst.
Disziplin heißt nicht den Berg zu schütteln, um den Schnee runter zu kriegen. Disziplin heißt an der richtigen Stelle einen Spatenstich zu setzen und eine Lawine los zu treten.
Wenn du dir einmal ein System geschaffen hast, das zu dir passt, ist nur wenig Disziplin nötig. Meine Disziplin besteht darin, mir einen Kaffee zu machen, mein Übetagebuch zu schnappen und den Bass auf den Schoß zu nehmen. Ab da passiert der Rest fast von alleine.
Hau rein,
P.S.: Wie stellst du sicher, dass dein Erfolg beim Üben nicht dem Zufall überlassen wird? Was klappt für dich super, das nach außen vielleicht ein bisschen schräg wirkt? Hinterlasse mir einen Kommentar unter dem Artikel.
P.P.S.: Wo wir grade von Systemen sprechen. Ich habe ein System entwickelt, mit dem du zuverlässig lernst immer genau zu wissen, wo welcher Ton gespielt wird, ohne raten zu müssen. Wenn du deine Rhythmik verbessern willst, ist mein Rhythmus-Workshop in Duisburg vielleicht interessant für dich: „Immer Sicher Tight“ Workshop in Duisburg.
Der mit Abstand beste Artikel zum Thema üben, den ich je gelesen habe!
Freut mich, Bernd.
Hi Denis,
danke für deinen frischen Blogartikel. Ich bin ebenfalls Musiker und Instrumentallehrer vor allem für E-Gitarre und Konzertgitarre. Das Thema Disziplin mit dieser merkwürdigen Ansicht (die du wunderbar auf den Punkt bringst) zieht sich, glaub ich, durch alle Instrumentengruppen. Zu deinem Punkt „ohne Kalender üben wann es passt“ habe ich unterschiedliche Erfahrungen mit meinen SchülerInnen gemacht. Einige von ihnen setzen regelmäßiges Üben super um. Ich erlebe aber auch SchülerInnen, die bei der Erwähnung des Wortes „Kalender“ sehr schnell sehr ressourcearm werden können. Ich wechsle in solchen Fällen den Fokus auf die Umgebung (Kontext), in der sie am liebsten üben würden. Dabei habe ich schon kleine Wunder erlebt. Z.B. haben SchülerInnen ihre Gitarre zur Bürogitarre erklärt oder einer übt jetzt in den Pausenzeiten seines Berufes. Da denke ich mir jetzt, dass ist doch dann auch wie ein Kalender nur eben, dass die Regelmäßigkeit in diesen Fällen durch die Umgebung und nicht durch ein kleines Notizheft erreicht wird .
Ich finde dein Ansatz bringt neuen Wind und eine neue Sichtweise in das Thema Üben, das meiner Meinung nach schon sehr lange und viel zu eintönig diskutiert wird.
Grüße Christian