Wenn du wirklich ein gefragter Musiker sein willst, dann ist es eine unerlässliche Fähigkeit für dich schnell neue Songs zu lernen und sicher spielen zu können.
Je schneller du darin bist, desto effizienter kannst du arbeiten.

Besonders in Top 40 Coverbands, die 3 Stunden und mehr am Abend spielen, ist die Fähigkeit gefragt sich schnell einarbeiten zu können.

Neulich kam eben solch eine Coverband auf mich zu, mit der Frage, ob ich für ein paar Konzerte einspringen könnte, weil der eigentliche Bassist verhindert wäre.

Ich fragte nach der Setlist, holte meinen Kalender raus und sah, dass ich bis zum ersten Gig noch zwei Wochen Zeit hatte. In der Zeit hätte ich 47 Songs zu Üben gehabt.

Weil ich auf Herausforderungen stehe und Lust hatte zu spielen und neue Leute kennenzulernen, habe ich zugesagt. Hätte ich gewusst was mich erwartet, hätte ich mir das vielleicht nochmal überlegt.

Ich bin ein totaler Planer. Ich predige zwar immer das „einfach machen“ und stehe da auch voll hinter, bin aber trotzdem ein Freund davon nach Plan und Konzept vorzugehen.

So habe ich mir also erstmal einen gründlichen Plan zurechtgelegt, nach dem ich mir die Songs draufschaffen wollte.
Es waren nicht wenige, deshalb musste ich auf jeden Fall Gas geben. Ich wollte aber auch nicht zuviel auf einmal machen, weil es für das Lernen mehr Sinn macht in kleineren Portionen zu üben.

Ok, zwei Wochen Zeit, das sind vierzehn Tage. Davon einige für die Familie reserviert und ein paar mit Arbeit voll, aber ok. Knapp, aber passt einigermaßen.
Das dachte ich zumindest, bevor das kam, was kommen musste.

Ich wurde krank.

Und zwar so richtig.

Um dir Einzelheiten zu ersparen, sage ich nur so viel, dass ich sehr viel Zeit in dem Zimmer verbrachte, wo auch die Badewanne steht.
Da steht aber mein Bass nicht
. Üben wäre also auch mit extremer Selbstdiziplin nicht gegangen.

Die Tage vergingen, trotzdem blieb ich zuversichtlich. Immerhin hatte ich ja noch Zeit bis Samstag, bis ich die Songs können musste.

Dachte ich.

Denn noch während ich mir Mühe gab, mich schnell zu erholen kam die Mail:
„Probe ist am Montag.“

Um die Songs mit der Band nochmal abchecken zu können, muss man sie natürlich proben. Dafür muss man sie bis zur Probe aber auch können!

Ich hatte also nicht bis Samstag Zeit, sondern nur noch bis Montag. Das waren drei Tage!

schnell 47 Songs lernen!

Wie konnte ich die Songs also in der Zeit alle perfekt sauber spielen lernen? Ich will ehrlich sein: garnicht.

Diese Masse an Songs in so einer kurzen Zeit adäquat spielen zu lernen, sodass ich selbstsicher auf die Bühne gehen und fehlerfrei abliefern konnte, war einfach nicht drin.
Meine Erwartungen an mich selbst sind zwar immer sehr hoch, in dem Fall konnte ich mir aber durchaus selbst verzeihen.

Ich habe nämlich in diesem Fall nicht perfektionistisch gearbeitet, sondern nach dem Prinzip „better done than perfect“.

Das heißt:
Der Gig lief super. Ich hab die Band gut begleitet, (fast) alles wunderbar gespielt, die Leute haben getanzt und sich gefreut und man kann sagen, es war alles in allem ein sehr gelungener Gig, der viel Spaß gemacht hat. Soviel zum Thema „done“.

Was aber war nicht „perfect“?
Ich habe mir die Freiheit genommen die 100% genaue Basslinie nur in den Songs zu spielen, in denen es auch notwendig war. Bei „seven nation army“ von den White Stripes kann man nicht improvisieren, das will keiner hören.

Andere Songs mussten allerdings mit meiner schnellen Abwandlung der Basslinie klarkommen (Insidertipp: merkt kein Schwein ;-)). Das konnte ich gut verantworten.

Manche komplizierten Läufe habe ich den Gitarren und dem Keyboard überlassen. Nicht sooo wild. Es waren auch nur zwei Stück oder so.

Außerdem hing ich teilweise sehr an meinen Leadsheets. Natürlich ist es schön, wenn man alles aus dem Kopf spielen kann. In dem Fall habe ich mir aber erlaubt abzugucken. 47 Songs mal eben so auswendig lernen… puh, keine Ahnung wie ich das hätte hinkriegen sollen.
Ich war aber erleichtert, als ich sah, dass meine Mitmusiker auch alle mit Leadsheets auf der Bühne standen.

Also alles andere als perfekt, trotzdem echt in Ordnung. Ich habe abgeliefert, was abgeliefert werden musste, das Publikum hat sich wohl gefühlt und die paar Fehlerchen, die sich dann doch eingeschlichen haben, haben zwar meine Musikerkollegen gehört (peinlich…naja…), sonst aber niemand.

„better done than perfect“ hat also gut funktioniert für mich

Meine Tipps um schnell viele Songs zu lernen

1. Mach es dir einfach:
Wenn du Sub bist (Aushilfe), dann gibt es jemanden (die Originalbesetzung), der die Songs schon eine Weile spielt. Frage ihn/sie oder andere Bandmitglieder nach Leadsheets. Auch einfache Akkordnotation kann dir schon helfen, indem sie dir Anhaltspunkte zum weiteren Raushören gibt.

Such dir Youtube Tutorials raus, lies Tabs, triff dich mit dem Gitarristen der Band, nimm eine extrastunde Bassunterricht und arbeite mit deinem Lehrer. Mach es dir so leicht wie möglich!

Hier geht es nicht darum dir zu beweisen wie gut du dir ohne Hilfe Songs erarbeiten kannst, hier geht es darum Strecke zu machen, egal mit welchen Hilfsmitteln. Was dir hilft: Nutze es!

2.​ Sortiere sinnvoll:
Üb die Songs nicht kreuz und quer, sondern mache dir einen Plan. Sortiere dir die Sheets so, wie du am besten mit ihnen arbeiten kannst.

Unser Set bestand aus vier festen Blöcken zu je zehn Songs, plus Zugaben. Also habe ich sie mir eben so sortiert.
Ich habe sie absichtlich nicht nach Schwierigkeit sortiert, weil ich mir den Aufwand nicht machen wollte, das erst herauszufinden.

Sortiere klug, aber nicht akribisch, bürokratisch. Dein System muss einfach nur funktionieren, denk nicht zu viel drüber nach.

Sinnvoll ist es, dir vorher zu markieren, welche Songs du schon kennst/kannst. Die kannst du hinten anstellen und als letztes üben, sodass es nicht so wild ist, wenn die Zeit bis dahin nicht reicht. Die Songs, bei denen du „schon irgendwie durch kommst“ haben niedrige Priorität. Denk dran: „better done than perfect“.

3. Wurschtel dich durch, auf Biegen und Brechen

Das Ziel ist es, halbwegs sauber den Gig zu überstehen. Du musst nicht zu 100% die genaue Basslinie von jedem Song spielen. Du musst nur zu jedem Song was spielen können, das passt. Die Grundtöne in der richtigen Rhythmik machen oft schon viel aus.

Schreib dir die Rhythmik auf die Leadsheets, so musst du nicht jeden den Song permanent im Kopf parat haben.

Klar, manche Songs brauchen die originale Linie. Die musst du drauf haben. „Seven nation army“ ist hier ein super Beispiel. Stell dir vor, du spielst eine andere Linie zu dem Song, geht garnicht!
Die nötigen Linien musst du also auf dem Schirm haben. Notiere sie dir, wenn du kannst (was du solltest!).

4. Mach dir die leadsheets so, dass du sie verstehst
Es ist völlig egal wie sie aussehen. Ob du mit Tabs arbeitest oder dir die Akkordnotation reicht. Ob du nur den Ablauf brauchst oder lieber alles komplett ausnotierst. Wichtig ist, dass du damit arbeiten kannst.

Ich hatte das Glück ziemlich gute Leadsheets vom originalen Bassisten bekommen zu haben. Die Akkorde waren notiert, teilweise mit Rhythmus und der Ablauf war beschrieben. Das war spitze für mich. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Daniel!

In denen habe ich rumgekrakelt und gemalt, wie ich es brauchte, um noch besser damit klar zu kommen (Keine Angst Daniel, nur mit Bleistift ;-)).

Was für mich absolut wichtig ist, war mir zu jedem Song aufzuschreiben wann mein Einsatz ist. Es gibt für mich kaum etwas peinlicheres als den richtigen Einsatz zu verpassen, vor allem in Songs, bei denen er absolut nötig ist. Leider habe ich die Tendenz dazu genau das zu tun.

Um also entspannt auf den Gig zugehen zu können, habe ich mir auf jedes Sheet geschrieben wann genau mein Einsatz ist. Das hat meine Pulsfrequenz an dem Abend bestimmt 10-20% niedriger gehalten.

5. Mach ausreichend Pausen
Dein Gehirn ist kein Computer. Du kannst nicht sechs Stunden am Stück üben und erwarten, dass da etwas sinnvolles bei rumkommt. Du brauchst Regenerationsphasen.

Jede halbe Stunde mal lüften, ein bisschen dehnen und strecken, durch den Raum gehen und zwischendurch was essen und trinken gibt dir die Kraft eine ganze Weile durchzuhalten. Achte dabei auf dich.

Wenn du merkst, dass du verkrampfst oder dich nicht mehr richtig konzentrieren kannst, dann bist du dabei es zu übertreiben.

Wenn es dir zu viel wird, nimm eine Auszeit. Geh was essen, spazieren, ruh dich aus… Mach es dir einfach ein bisschen angenehm. So kannst du danach auch frisch und motiviert weiterüben.

6. Schlafe ausreichend
Wieder das Stichwort Regeneration. Verzichte nicht auf deinen Schlaf! Du brauchst ihn um Leistungsfähig zu sein. Mehr muss dazu nicht gesagt werden. Opfere deinen Schlaf nicht!

7. Lass auch mal gut sein

Sei nicht zu verbissen. Der Gig wird schon irgendwie laufen. Du kannst dich nur so weit vorbereiten, wie es dir eben möglich ist, mehr kannst du eben einfach nicht.

Ab einem gewissen Punkt liegt es nicht mehr in deiner Hand. Du kannst dich also getrost zurück lehnen und sagen „Ich habe getan was ich kann, den Rest übernimmt das Schicksal“.

Und überhaupt: Es heißt Bass spielen, nicht Bass arbeiten. Weißt du noch warum du angefangen hast mit der Musik? Wahrscheinlich nicht, um dir voller Nervosität den A#§$% aufzureißen, sondern weil es deine Leidenschaft ist, die Musik zu machen, die du liebst.

Geh es also ruhig an. Wenn das Spiel zu ernst wird, ist es kein Spiel mehr.

Was habe ich aus der Erfahrung gelernt?

Mal wieder nix :-D! Auch wenn es unheimlich anstrengend war und mich viele Nerven gekostet hat, liebe ich diese Arbeit unter Druck auf meine ganz eigene Art.

Ich werde auch in Zukunft unvernünftige Gigs und (zu) große Herausforderungen annehmen.

Ich verlasse so gerne meine Komfortzone, dass ich mir außerhalb davon sogar schon ein Zimmer gemietet habe!

Einfach machen bleibt die Devise, denn so geht’s. Wenn auch manchmal mit dem Kopf durch die Wand, aber so muss ich das wohl machen.

Was ist deine Herangehensweise an große Aufgaben? Bist du eher rational oder entscheidest du auch nach deinem inneren Drang? Wie übst du, wenn es schnell gehen muss?

Einfach machen,